Nicht trotz, sondern dank Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es auch Platz für unternehmerisches Denken und Handeln.
Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob ich aufhöre zu arbeiten, wenn ich einmal Kinder habe. Beide unsere Kinder sind während meiner Tätigkeit bei einer Firma im Telco Bereich zur Welt gekommen. Ausser Babypausen von je 6 Monaten war ich immer berufstätig, was ich nicht bereut habe. Wir konnten uns zum Glück gut organisieren mit dem Angebot von Krippe, Au-Pair und zwischendurch einer Tagesmutter. Meinem Mann und mir war bewusst, dass durch unsere Berufstätigkeit ein grosser finanzieller Betrag in die Kinderbetreuung lief.
«Es freut mich sehr, dass unsere Töchter mich als Vorbild sehen»
Unterdessen sind unsere Töchter, 16 und 19 Jahre alt, zu selbständigen jungen Frauen herangewachsen. Es freut mich sehr, dass sie mich als Vorbild sehen und einen Weg einschlagen werden, der ihr eigener sein wird, sowohl privat wie auch beruflich. Zudem erkenne ich bereits bei den beiden den einen oder anderen unternehmerischen Funken aufblitzen. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen.
Natürlich war unser Alltag hektisch, und mein Arbeitspensum habe ich für die Kinder auf 70% reduziert, was Auswirkungen auf Karrierechancen hatte. Und trotz dem Verständnis meines skandinavischen Ehemannes, in dessen Land jede Frau berufstätig ist und Gleichstellung, Job Sharing und Windeln wechseln längst etabliert und gesellschaftsfähig sind, bin auch ich an meine Grenzen gekommen und habe mich gefragt, weshalb der Tag nicht mehr als 24 Stunden hat. Es gab einige Momente, in denen ich mir einfach einen ruhigen und strukturierten Alltag herbeisehnte. In diesen Momenten half mir der Austausch mit anderen berufstätigen Müttern; und letztendlich auch wieder die Erfüllung durch meine Arbeit.
«Eine familienbewusste Personalpolitik ist zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor für Arbeitgeber geworden»
Wie viele andere Mütter und berufstätige Frauen habe ich die Fähigkeit, mich durch zwei zu teilen, vor allem wenn Kind 1 mit Fieber zuhause und Kind 2 in der Schule vom Baum gefallen ist und ich gleichzeitig in einer wichtigen Verhandlung sass. Da hatte das gut organisierte Kartenhaus die Tendenz, zusammenzufallen. Familie und Gesundheit hatten (und haben) für mich immer oberste Priorität, und ich war jeweils froh, auf die Unterstützung meines Partners und das Verständnis meines Arbeitgebers zählen zu können.
Auch wenn die Schweiz in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vergleich zu anderen Ländern hinterherhinkt, tut sich auch hier einiges. Zum Glück ist in den letzten Jahren eine familienbewusste Personalpolitik zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor für Arbeitgeber geworden. Zudem gibt es heutzutage viel mehr Kindertagesstätten, öffentliche und private Tagesschulen oder zum Beispiel auch Organisationen im Stil von «Rent a Granny». Zudem überlegen immer mehr Männer, die vielleicht gerade dank Corona die Vorteile von Homeoffice schätzen gelernt haben, Teilzeit zu arbeiten. Themen wie Gender Diversity, Gleichstellung und New Work sind nicht mehr nur Floskeln, sondern werden ernsthaft integriert und vorangetrieben.
«50’000 Akademikerinnen in der Schweiz sind nicht berufstätig»
Gemäss einer Studie von UBS aus dem Jahr 2019 werden in der Schweiz schon bald bis zu einer halben Million Arbeitskräfte fehlen; die Babyboomer gehen in Rente und weniger junge Leute rücken nach. Zugleich sind 50’000 Akademikerinnen in der Schweiz nicht erwerbstätig, obwohl gemäss einer Studie der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des Bundesamtes für Statistik fast die Hälfte dieser Frauen gerne berufstätig wäre.
Ein Grossteil gut ausgebildeter Frauen möchte nach der Geburt der Kinder wieder arbeiten oder den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Sie möchten beides: Familie und einen Job, der sie erfüllt und faire Bedingungen stellt. Die Vereinbarkeit von Familie und einem interessanten Beruf mit guter Work-Life-Balance ist meiner Meinung nach möglich. Denn Frauen, denen ihr Arbeitgeber eine Beschäftigung mit Perspektiven und einem gewissen Mass an Flexibilität anbietet, sind äusserst engagiert, loyal und zufrieden.
«Mut ist ansteckend und es braucht Vorbilder.»
Dieser Aspekt ist eine Herzensangelegenheit für mich, der ich sehr viel Aufmerksamkeit widme. Zusammen mit einer Geschäftspartnerin haben wir vor gut 18 Monaten das Frauennetzwerk bwomen gegründet, eine Community für qualifizierte und motivierte Unternehmerinnen, Frauen in Führungspositionen und Wiedereinsteigende. Das war absolutes Neuland für mich, und ich bin sehr dankbar, dass ich beim Aufbau des Netzwerkes nicht alleine bin. Wir ergänzen uns und können so optimal Synergien nutzen und unsere Stärken einsetzen.
Ich bin der Auffassung, dass es sehr viele hochqualifizierte und engagierte Frauen gibt, die sich noch nicht an die Selbständigkeit als Unternehmerin und an den Quer- oder Wiedereinstieg ins Berufsleben wagen, da ihnen vielleicht die nötige Portion Mut oder das Angebot mit modernen Arbeitsmodellen fehlt.
Zudem bin ich überzeugt, dass Mut ansteckend ist, und dass es Vorbilder braucht. Die eigene Komfortzone zu verlassen, kann ungemütlich, anstrengend und beängstigend sein. Doch dieser Schritt ist auch erfüllend, inspirierend und spannend; und wer weiss, vielleicht springt der Funke auch auf die eigenen Kinder über, die durch den Mut und die Berufstätigkeit der Eltern selbständig und unternehmerisch durchs Leben gehen und auf diese Weise bereits gut auf die Realität der Berufswelt vorbereitet werden?